johannes enders | volker engelberth | thomas stabenow | axel pape
Gefühliges umgedeutet
"Aber das passt überhaupt nicht zusammen!" Die verständnislose Reaktion einer Besucherin, im Jazz wenig bewandert, gilt dem Thema eines Stücks, das wirklich ein bisschen schräg daherkommt. Eine ganz finstere Ballade ist es, deren Melodie von Frontmann Johannes Enders abschnittweise vorgestellt wird, in den tiefen Lagen seines Tenorsaxofons und im Unisono begleitet von Thomas Stabenow auf dem Kontrabass. Dazu strichelt Schlagzeuger Axel Pape karge Akzente auf Trommeln und Becken, während Volker Engelberth sich am Klavier in einer Gegenmelodie ergeht; ein paar Töne nur, die er ungerührt wie eine Spieluhr andauernd wiederholt.
So klingt "Leise rieselt der Schnee", wenn Jazzer es unter ihre Fuchtel nehmen. Und zugleich ernst: Aller Sentimentalität entkleidet, präsentiert sich das gute alte Lied als schonungsloses Stimmungsbild einer im Frost erstarrten Winterlandschaft. Derart auf das ihnen innewohnende musikalische Potenzial abgeklopft werden unter dem Motto "Christmas Revisited" noch viele weitere weihnachtliche Melodien, deutscher wie US-amerikanischer Provenienz. Die Ergebnisse fallen unterschiedlich, doch stets überzeugend aus. Wer hätte gedacht, dass selbst die scheinbar schlimmste Schnulze, Irving Berlins "White Christmas", hymnische Qualitäten à la John Coltrane in sich birgt?
Ausgedacht, eigens für diesen Abend in der Mannheimer Klapsmühl', hat sich die Umdeutungen Pianist Volker Engelberth. Und bei der improvisatorischen Vertiefung seiner Arrangements geht er mit bestem Beispiel voran, fegt mit der Rasanz eines Lennie Tristano oft nur mit der rechten Hand über die Tasten.
Tenorist Johannes Enders, aus Bayern angereist, wird seinem Ruf als einer der besten Saxofonisten im Lande gerecht, fähig zu druckvollem Powerplay ebenso wie feinsten Nuancierungen. Insgesamt eine Meisterleistung in Konzeption und Ausführung, die es verdient hätte, per Aufnahme auf CD über den Tag hinaus bewahrt zu werden. (swm)
Jazzige Weihnachten
Ja, auch der Weihnachtsmann kann mal den Blues bekommen. So schien es bei der letzten IG-Jazz Veranstaltung des Jahres in der Mannheimer Klapsmühl, wo Johannes Enders zu Gast war, einer der einflussreichsten Tenorsaxophonisten hierzulande und als Gewinner des Neuen Deutschen Jazzpreises 2007 dem Mannheimer Publikumbestens bekannt.
Recht unterschiedliche Ensembles unterhält Enders, Saxophon-Professor an der Leipziger Musikhochschule, darunter ein Quartett mit Billy Hart und avanciertere Projekte wie Enders Dome und Enders Room. Jetzt zeigte der letztjährige Echo-Jazzpreisträger einmal mehr, dass er zu den großen Stilisten im Jazz gehört.
Ein bluesiger Beginn: Volker Engelberth setzte knorrige Akkorde auf die Klaviatur, weihnachtliche Hymnik und Melancholie folgten, kontrapunktisch dicht verflochten. Der Abend begann mit "A merrier Christmas", einem Weihnachtslied von Thelonious Monk. Nur ein paar dürre Noten hat der große Pianist notiert, die Musiker aber machten daraus einen reich geschmückten, klingenden Weihnachtsbaum. "What are you doing on New Years eve?" hieß es danach: Kantige Klavierakkorde grundierten die geschmeidig fließende Melodik von Johannes Enders Tenorspiel.
Arrangiert hatte das Ganze Volker Engelberth, und der war in Hochform an diesemAbend. Knorrigen Single-Note-Läufen gab er eminent bluesige Glut, setzte sehr monkish dissonanzengespickte Akkorde zwischen seine Läufe. Für pianistisches Vergnügen der schönsten Art sorgte der Mannheimer immer wieder, ließ die bluesigen Figuren tanzen und Pirouetten drehen. Warm und dezent begleitete Thomas Stabenow am Bass und entwickelte dabei einen prägnanten Groove. Axel Pape am Schlagzeug trommelte ebenso fein wie erregend. Das Quartettspiel war harmonisch gespannt und zugleich wunderbar entspannt.
Ein altes deutsches Weihnachtslied machte sich gleichfalls gut in der Runde: "Leise rieselt der Schnee“ intonierte Enders elegisch verträumt. Bitonal abweichende ostinate Akkorde ließ der Pianist kreisen und gab dem Stück dadurch eine surreale Wirkung. Dann wieder umrankte er die Melodie mit ruhig gleißenden Messiaen-Akkorden, was wie feiner Pulverschnee auf dem Weihnachtsbaum erschien. In großem romantischem Stromfloss das Spiel dahin, das Vertraute ertönte in neuem Licht, und ein geheimer Zauber lag über den Klängen.
Auch Bill Evans hat ein Weihnachtslied geschrieben: "Its love, its Christmas“ heißt das ruhige Stück, aus der sich bald ein flotter Bebop entwickelt. Johannes Enders ließ in seinen Soli die Tonfolgen pointiert tanzen, erzeugte hochexpressive Klangbänder und verlieh dem Klassiker "Santa Claus is coming to town“ erregende Ausdruckskraft. (Rainer Koehl)